Martin Gruber: Na ja, die Intention der politischen Kräfte, die diesen Begriff ins Treffen geführt haben, war so doof wie simpel: Ich bin normal und wenn auch du normal bist, dann wähle mich!
Jetzt wissen wir aber, dass natürlich genau gar niemand einer abstrakten Norm entspricht. Kein Mensch ist eine Norm. Was uns als Menschen und Gesellschaft auszeichnet, ist unsere Verschiedenartigkeit - auch unsere Widersprüche. Man stelle sich vor, man würde sich ewig nach irgendeinem, tradierten Verhaltenskodex richten. Dann gäbe es keine Erfindung, kein Weiterkommen, keine Wissenschaft, keine Kunst, gar nichts, was uns auszeichnet und vor allem weiterbringt. Wir würden immer noch auf den Bäumen sitzen und Bananen fressen. Wobei ich eigentlich nichts Despektierliches über andere Primaten sagen möchte. Die Bonobos haben uns bezüglich Empathie einiges voraus.
Das “Normale” ist nichts anderes, als ein Griff, an dem ich mich festhalte, wenn ich meine eigenen Widersprüche nicht unter einen Hut zu bringen vermag. Nach der Maxime: Wie machen´s denn die Anderen? Als Kunstschaffende haben wir die Möglichkeit, hinter die Kulissen des sogenannten “Normalen” zu blicken. Wir beginnen also bei den bereits von den Mitwirkenden antizipierten Gesellschafts-Normen und zersägen diese so lange, bis nur noch WIR übrigbleiben.