Drei Fragen an Martin Gruber, Regisseur und Leiter des aktionstheater ensemble

Eure aktuelle Produktion heißt „Alles normal“ – und setzt sich augenscheinlich mit dem Begriff des „Normalen“ auseinander, welcher von politischer Seite aus unlängst als Schlagwort ins Rennen geführt wurde. Was hat euch daran interessiert?

Martin Gruber: Na ja, die Intention der politischen Kräfte, die diesen Begriff ins Treffen geführt haben, war so doof wie simpel: Ich bin normal und wenn auch du normal bist, dann wähle mich! 

Jetzt wissen wir aber, dass natürlich genau gar niemand einer abstrakten Norm entspricht. Kein Mensch ist eine Norm. Was uns als Menschen und Gesellschaft auszeichnet, ist unsere Verschiedenartigkeit - auch unsere Widersprüche. Man stelle sich vor, man würde sich ewig nach irgendeinem, tradierten Verhaltenskodex richten. Dann gäbe es keine Erfindung, kein Weiterkommen, keine Wissenschaft, keine Kunst, gar nichts, was uns auszeichnet und vor allem weiterbringt. Wir würden immer noch auf den Bäumen sitzen und Bananen fressen. Wobei ich eigentlich nichts Despektierliches über andere Primaten sagen möchte. Die Bonobos haben uns bezüglich Empathie einiges voraus.

Das “Normale” ist nichts anderes, als ein Griff, an dem ich mich festhalte, wenn ich meine eigenen Widersprüche nicht unter einen Hut zu bringen vermag. Nach der Maxime: Wie machen´s denn die Anderen? Als Kunstschaffende haben wir die Möglichkeit, hinter die Kulissen des sogenannten “Normalen” zu blicken. Wir beginnen also bei den bereits von den Mitwirkenden antizipierten Gesellschafts-Normen und zersägen diese so lange, bis nur noch WIR übrigbleiben.

aktionstheater ensemble: ALLES NORMAL
© Stefan Hauer

Im Untertitel heißt es „Ein Salon d’amour-Stück“. Was ist damit gemeint?

Martin Gruber: Die von Martin Ojster und mir vor 20 Jahren initiierte Performance-Plattform “Salon” war als Neuinterpretation der politischen Salons der 1920iger Jahre gedacht. Die “Brüche” und die (vermeintlich) erratische Szenenabfolge von Performance, Schauspiel und Musik sind noch radikaler als in den Stückentwicklungen des aktionstheater ensemble. Mit den “Salons” konnten wir noch schneller auf politische oder gesellschaftspolitische Ereignisse reagieren. Die Szenen haben sich mitten im Publikum mit Bar-Atmosphäre, inklusive Drink, abgespielt. Diese noch direktere Auseinandersetzung mit dem Publikum, den noch abrupteren Schlagabtausch wurde nun mit dem Format der “Stückentwicklung” kombiniert. 

35 Jahre aktionstheater ensemble – das ist eine lange Zeit des intensiven Theatermachens. Hat sich eure Arbeitsweise im Laufe der Jahrzehnte verändert? Und wenn ja, wie?

Martin Gruber: Die Frage, die ich mir immer stelle, ist jene: Was hat das, was wir machen, mit uns, also unserer Gesellschaft zu tun. Jegliche gesellschaftspolitische Relevanz kann sich natürlich auch in einem Klassiker oder einem bereits bestehenden zeitgenössischen Stück manifestieren. Wenn eine Schauspielerin aus “Alles Normal” in einer manischen Kurzperformance Schnitzel und Bierpreise in penetranter Redundanz verzweifelt memorisiert, wie sie das einst als Bierzelt-Kellnerin gemacht hat, dann geht es nicht unbedingt um die literarische Relevanz der Speisekarte, sondern um die Art und Weise wie sie das “performt”. Welchen Stress hat sie, um in dieser “normalen” Gesellschaft zu “funktionieren”. Und was noch wichtiger ist, welche Assoziationen löst das beim Publikum aus. Soloperformances, wie diese, wechseln sich mit lange erarbeiteten Dialogen ab. Dazwischen interveniert immer wieder die Musik… Arbeitsprozesse wie diese, das direkte Reagieren auf Zeitläufe, waren mit bestehenden Stücken nur schwer möglich. 

Um Zeitgeschehen zu greifen, suchen wir immer wieder nach neuen Ästhetiken. Es muss sich also immer wieder etwas verändern. Somit hat sich nichts verändert. 

Die Fragen stellte Hannah Lioba Egenolf.

Foto Titelbild: Gerhard Breitwieser