Drei Fragen an Regisseur Paul Spittler

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Dass "Blutbuch" nicht für die Bühne geschrieben wurde, merkt mensch ihm eigentlich nur durch das Label "Roman" auf dem Buchdeckel an. Ich finde den Text sehr dramatisch. Das fängt nicht zuletzt bei seiner klassisch-dramatischen Aufteilung in 5 Teile aka. Akte an und endet noch nicht mit seiner dichten und poetischen Sprache, die fabelhaft für die Bühne gemacht ist. Was in der Tat eine Herausforderung war, ist das Fehlen eines klassischen Plots, da der Text eher festhält, erinnert, Inseln schafft und nicht konsistent ist. Aber das haben ja viele zeitgenössische Theatertexte auch nicht (mehr), eine Handlung im klassischen Sinne. Und ich mag es sehr, wenn auf Bühnen schöne Chiffren verhandelt werden. Da kann mensch auch einfach mal nur zuhören und zusehen, ohne etwas "verstehen" zu müssen.

Der Roman "Blutbuch" hat ja fünf, zum Teil sehr unterschiedliche Teile - Du hast Dich dazu entschieden, alle einzelnen Teile an dem Abend sichtbar zu machen. Was ist da Dein Anliegen? 

Wir wollten den Roman, das "Blutbuch", in seiner Komplexität ernst nehmen und haben uns für eine dem Originaltext sehr nahe Bühnenfassung entschieden. Als ich den Roman erstmals gelesen hatte, begeisterten mich vor allem seine Form, seine Farben, die so unterschiedlich und schillernd leuchteten und von denen wir möglichst viele auch auf die Bühne bringen wollten. Daher hat auch unser Theaterabend 5 Teile und jeder Teil hat einen eigenen inszenatorischen Zugriff und eine eigene Bildsprache. Wir wollten uns eben nicht nur mit einem der Komplexe des Buches auseinandersetzen, sondern aus dem Vollen schöpfen. Das haben wir gemacht. Deswegen dauert der Abend jetzt zwar 3 Stunden (sorry dafür), bildet aber auch einen Großteil des "Blutbuch"-Universums aus dem Roman ab. Insofern könnte mensch sagen: 12,5 Stunden Hörbuch hören gespart.

Die Zusammenstellung des Ensembles für die Bühne ist eine sehr spannende, und zwar weil z.B. Moritz Sauer als Darsteller_in aus der Performance kommt, Jchj V. Dussel wiederum ist ebenso Autor_in, mit Lara Sienczak und Harwin Kravitz stehen zwei „klassischere“ Darsteller_innen auf der Bühne und Jasmin Avissar kommt aus dem Tanz und der Choreographie. Was war Dir an dieser Konstellation des Ensembles wichtig?

Im Roman erzählt eine non-binäre Stimme, die Kim heißt, die Geschichte von Kim, Meer und Großmeer. Bei uns sind es fünf Stimmen. Das Non-binäre, Genderfluide, Grenzenlose, der weder geschlechtlich, noch artistisch einordenbare Blick - das hat uns in der Besetzung interessiert und schlägt sich darin nieder. Lara, Harwin, Jchj, Moritz und Jasmin kommen alle aus unterschiedlichen Disziplinen und erzählen hier aus ihren jeweiligen künstlerischen Perspektiven die Geschichte von Kim - mal arrogant-campy aus der Teenage-Perspektive, mal als verspieltes, unsicheres Kind, mal tänzerisch als Eishexe und Meer, singend als Blutbuche oder Liebhaber*in und dann 5 mal als Kim selbst, in allen Zeiten und in allen (Darstellungs-)Formen. So wie wir die Komplexität und Formendiversität des Buches wahr- und ernstnehmen, nehmen wir auch die Komplexität der Figur*en wahr und ernst. Außerdem bin ich minimal zahlenmystisch veranlagt - 5 ist eine starke Zahl und steht für Liebe, Freiheit und Unangepasstheit. I guess it's a match.

Die Fragen stellte Esther Holland-Merten.