Drei Fragen an Alireza Daryanavard

Wann hattest du die Idee, dich bei deinem neuen Theaterabend mit der Belagerung der Stadt Sarajevo auseinanderzusetzen? Und wie kamst du auf das Thema?

Alireza Daryanavard: Das Thema Bosnienkrieg beschäftigt mich, seit ich in Wien lebe. Hier sind so viele Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien und ich habe über die Jahre realisiert, dass gesellschaftlich und auch im Theater kaum darüber gesprochen wird. Die längste Belagerung des 20. Jahrhunderts, die komplett am Rand des Vergessens liegt, ist nun 30 Jahre her und ich hoffe, dass wir einen Beitrag leisten können, die Erlebnisse und Erfahrungen der Zeitzeug_innen hier zu Wort kommen zu lassen.

Stadt unter Belagerung
Stadt unter Belagerung © rezzarte

Häufig setzt du dich in deinen Arbeiten mit Mechanismen des kollektiven Verdrängens auseinander. Welche Erkenntnisse ziehst du aus deiner Arbeit und den dazugehörenden Recherchen?

Alireza Daryanavard: Die einzelnen Menschen, die unterdrückt, bedroht oder ermordet wurden, sind immer Opfer struktureller Gewaltmechanismen der jeweiligen Gesellschaften. Viele Kriege und Diktaturen haben Ursachen im Patriarchat oder im Kapitalismus. Es ist erschreckend wie sich in Gewaltsystemen trotz aller Verschiedenheiten auch Vergleiche erkennen lassen. Die überlebenden Zeitzeug_innen tragen ein ungeheuer wichtiges Wissen in sich und können helfen, über diese menschenverachtenden Strukturen hinweg zu kommen, in dem wir ihnen zuhören. Ihre Zitate machen sensibel für Gewalt.

Stadt unter Belagerung
Stadt unter Belagerung, © rezzarte

Du setzt dich in deinen Theaterabenden stets mit hochpolitischen Themen auseinander. Was bedeutet Theatermachen für dich? 

Alireza Daryanavard: Theater ist für mich ein Werkzeug in Gesellschaft einzugreifen und auch ein Motor für Erkenntnis. Dadurch, dass eigentlich immer die Zeitzeug_innen im Zentrum stehen und ihre Erlebnisse die Basis sind für die Stücke, ist Theater für mich eine Art Überlebens-Sinn-Maschine. Das war es genauso, als ich Theater im Untergrund gemacht habe und ist es jetzt, wo ich Geschichten über untergründige Verdrängungs-Mechanismen auf die Bühne bringe.

Die Fragen stellte Hannah Lioba Egenolf

Foto Titelbild: rezzarte